Speziell für die Logistik in Industriebetrieben schlagen wir aber einen differenzierteren Ansatz vor. Dieser ist eher eher an die Rolle der Industrie als Auftraggeber von Transporten angepasst und orientiert sich – neben einigen allgemeinen Strategien – an der ABC/XYZ-Klassifizierung von Gütern.
Allgemeine Strategien als Grundbausteine
Organisatorische Aspekte
Schaffung einer End-to-End Prozessverantwortung im Unternehmen: Ein Problem, auf das wir in unseren Gesprächen mit der Industrie immer wieder gestoßen sind, ist die Unabgestimmtheit zwischen dem Einkauf, der Produktion, dem Vertrieb und der Querschnittsfunktion Logistik. Ist die Logistik nicht in diese Bereiche integriert, führt das zu logistischen Insellösungen und lokalen Optima im Gegensatz zu globalen Optima. Eine exemplarische Lösung für dieses Problem ist die Schaffung einer Supply-Chain-Abteilung, die vom Lieferanten bis zum Kunden alle Bereiche inkludiert. Diese spiegelt die Kernfunktion eines produzierenden Betriebes wieder und erlaubt – aus logistischer Sicht – die integrale Betrachtung von Transporten, Umschlägen und dem Lager – in der Beschaffung, Produktion und der Distribution.
Schaffung der Kontrolle über die Transporte: Dieser Aspekt steht hauptsächlich in Zusammenhang mit den Incoterms, die mit Lieferanten und Kunden vereinbart werden. Je mehr ein produzierendes Unternehmen in der Verantwortung der Transporte ist, umso mehr kann es diese auch beeinflussen. Die größte Beeinflussbarkeit ergibt sich bei dem Incoterm EXW im Inbound und DAP im Outbound – die geringste im umgekehrten Fall. Zu bedenken ist auch, dass ein Scope 3 Emissionsreporting umso schwieriger ist, je weniger Wissen über die Transporte im Unternehmen existiert.
Personalaspekte
Schlüsselpersonen Raum zur Innovation geben: Obwohl dies nach keiner bahnbrechenden Erenntnis klingt, haben wir durch die Bank in Unternehmen, die effektiv CO2 reduzieren konnten die Existenz von Schlüsselpersonen bemerkt. Als Ideenbringer, Treiber von internen Initiativen und Aufmerksam-Macher sind diese Personen zentraler Bestandteil einer effektiven CO2-Reduktion. Ersichtlich wurde auch, dass die Vorgesetzten dieser Personen ihnen einen Spielraum zur Innovation – vor allem im Sinne zeitlicher Ressourcen – geben müssen. Anonsten führt die intrinsische Motivation schnell zu Frustration.
Spezialistenwissen vereinen: Neben dem Expertenwissen über die Logistikprozesse ist auch das Vorhandensein von Expertenwissen über grünere Möglichkeiten entscheidend, um effektive und wettbewerbsfähige Möglichkeiten der Dekarbonisierung zu finden. Dies kann beispielsweise sichergestellt werden, in dem in regelmäßigen Abständen ein Wissensaustausch zwischen einer zentralen “Dekarbonisierungsstelle” und den verteilten Logistikstellen stattfindet. Ideen werden in der Regel von Experten in den Prozessen generiert – welche sich bei der Ausarbeitung, Bewertung und Implmentierung Unterstützung von der zentralen Stelle holen können. Dies bedingt die Schaffung von zeitlichen Ressourcen einer solchen Stelle – oder dem Einkauf solcher Leistungen von einschlägigen Beratungsunternehmen.
Tendering (Ausschreibung und Vergabe von Transportdienstleistungen)
Forderung eines CO2-Reporting auf Sendungsebene: Eine Lösung für den eben diskutierten Punkt ist die Integration von Emissionswerten in die Kommunikation zwischen Logistikdienstleister und produzierendem Unternehmen. Dies klingt einfacher, als es in der Praxis ist – vor allem auf Grund fehlender Daten- und Kommunikationsstandards in der Logistik. Eine Lösung kann hierbei die Verwendung von Plattformen oder die Beauftragung großer Logistikdienstleister sein, die CO2-Emsisionen auf Sendungsebene ausweisen können. Diese Daten können in neben der Berichterstattung für den Scope 3 auch für die Suche nach taktischen und operativen Maßnahmen genutzt werden. Der Detailgrad “Sendungsebene” ist hierbei von höchster Relevanz, da nur so in den Daten auch Ineffizienzen und Potentiale aufgedeckt werden können.
Forderung von verpflichtenden Eco-Driving Fahrerschulungen: Obwohl die Schulung auf effiziente Fahrweise in vielen Ländern ein alter Hut ist, berichten Studien immer wieder über die Effektivität und Effizienz dieser Maßnahme. Vor allem bei Operateuren aus weniger industrialsierten Ländern kann dies nach wie vor nachhaltige Emissions- und Kosteneinsparungen hervorrufen. Die Forderung von verpflichtenden Fahrerschulungen im Tendering ist dabei eine einfache Möglichkeit, sicherzustellen, dass unnötiger Energieverbrauch und die damit verbundenen Emissionen verhindert werden.
Forderung des Einsatzes höherer Biodiesel-Beimengungen: Diese Maßnahme ist etwas heikler, als die vorherigen. Viele LKW-Betreiber haben bereits vor Jahren mit der Erprobung von Biokraftstoffen begonnen – oft mit unangenehmen Nebenwirkungen wie erhöhte Wartung oder einen “Pommesbudengeruch” beim Kaltstart. Heutige Biokraftstoffe sind allerdings wesentlich fortschrittlicher was die Wartung und deren Geruch anbelangt – und können andererseits in verschiedensten Mischverhältnissen getankt werden. Eine effektive Maßnahme zur Verringerung von Emissionen ist daher die Forderung von leicht erhöhten Biodiesel-Beimengungen, bspw. B25 (der “normale” Diesel hat einen Biodieselanteil von rund 7%, wird also als B7 bezeichnet). Die Verwendung von reinem Biodiesel, bspw. auch HVO, ist für die meisten Frächter auf Grund der Verfügbarkeit nicht möglich – höhere Biodiesel-Mischverhältnisse sind aber leichter erhältlich.
Strategien für ABC/XYZ-Artikel
Die Literatur schlägt für die unterschiedlichen ABC/XYZ-Artikel differenzierte Bestellverfahren vor. Diese Verfahren wurden auf Basis operativer und wirtschaftlicher Gesichtspunkte entwickelt. Wir schlagen vor, die etablierte ABC/XYZ-Klassifizierung auch für die Wahl der Dekarbonisierungsstrategie zu nutzen – da diese die Relevanz, Freuquenz, und Mengen – und somit auch die Transportcharakteristika – repräsentiert.
Einteilung von Dekarbonisierungsmaßnahmen nach der ABC/XYZ-Matrix. Bestandsklassifikiation in Anlehnung an Uni Duisburg Essen
Diese Herangehenweise wurde im Zuge all unserer Forschungen zu dem Thema entwickelt und in vielen Gesprächen mit der Industrie verfeinert. Insofern gibt es keine spezifische Quelle, auf die wir hier referenzieren können, sondern müssen auf die Sammlung unserer Forschung verweisen, die Sie hier finden.
Erklärung zu den Artikelklassen:
A-Artikel sind für das Unternehmen wichtige Bestände. Fehlen beispielsweise A-Bestände im Inbound, so können wichtige Produktionsaufträge womöglich nicht durchgeführt werden, was zu hohen Produktionsausfallskosten führt. Im Outbound sind A-Artikel in der Regel die umsatzstärksten bzw. wertvollsten Artikel – ein Fehlen dieser bedeutet insofern einen hohen Umsatzentgang. Dadurch, dass die Artikel wertvoll sind, sind mit der Lagerung hohe Kapitalbindungskosten verbunden, wodurch mehr Wert auf Just-in-Time Lieferungen gelegt wird. Beim Transport dieser Artikel steht in der Regel die Logisitkleistung vor den Logisitkkosten – was sich auch in den Vermeidungskosten wiederspiegelt. Wichtig sind hierbei akkurate Lieferzeiten und die Flexibilität.
Maßnahmen für AX-Bestände
AX-Bestände werden oft in Form von produktionssynchronen JIT-Lieferungen aus den Beständen eines naheliegenden Lieferanten direkt an die Linie bestellt. Diese Präzision stellt eine Herausforderung für die Dekarbonisierung dar. Einige Maßnahmen kann man aber dennoch setzen:
Flexibilisierung der Anlieferzeitfenster. Durch den Wechsel von Anlieferzeitfenstern auf bspw. Anliefertage kann der Logisitkdienstleister besser konsolidieren und muss nicht mit geringen Auslastungen Überhänge transportieren. In der Regel spart dies neben Emissionen auch Kosten – oder ist zumindest Kostenneutral. Die Vermeidungskosten belaufen sich also auf oder unter 0.
Einsatz von E-LKWs. In der Regel sind solche Lieferungen Kurzsstreckentransporte. Belaufen sie sich auf unter 25km, kann man beim Einsatz von E-LKWs mit Kostenneutralität rechnen. Für Transporte über 25km muss eventuell in zusätzliche Ladestationen investiert werden, was erhebliche Mehrkosten und hohe Vermeidungskosten mit sich bringt.